"Flötentöne", friedsam oder kriegerisch beigebracht? von Herbert Karl von Beesten

Herbert Karl von Beesten – 2025

Zusammenfassung:

„Flötentöne“ friedsam oder kriegerisch beigebracht? von Herbert Karl von Beesten ist eine poetische Erkundung innerer Konflikte, angesiedelt in Wien. In den Dialogen mit sich selbst sucht der Protagonist nach seiner Konsequenz aus der Kriegsgefahr. Ein Dilemma, pendelnd zwischen Vision und Desillusion. Dazu eine Ermunterung, auch zu Engagement, in unruhigen Zeiten, vor autobiografischem Hintergrund. Eine neue Art der „Flexible Response“ seiner Generation?

Der Autor:

Herbert Karl von Beesten, geboren 1953 in Rheine (Münsterland, Deutschland), ist Autor und Performance-Künstler. Er lebt in Magdeburg. www.HerbertBeesten.de

Zwei Versionen des Textes:

I.  Minimal Version - zugleich Bühnentext

II. Erzählende Version, ausführlicher mit einigen Bildern


I. Flötentöne Herbert Karl von Beesten – 2025

Verlassenschaften. Romantausch. Besitzstörungsklage! Realitätenvermittlung. Wiener Wände winken mit seltsamen Botschaften, anstelle von Menschen. Ein Selbstgespräch.

Eine Kirchentür, ein Pappschild: „Liebt eure Feinde, tut denen Gutes, die euch hassen!“

Trau dich!

Ich trete ein. Hut ab.

Opulenter katholischer Barock.

Allein. Innehalten. Es ist kalt. In einer der Kirchenbänke, ein Platz für mich. Die Großstadtgeräusche wie aus einer anderen Welt. Nach Wien gefahren, um anzukommen?

Was ist das? Ein alter Mann spielt Querflöte in der letzten Bank. Ich nicke ihm zu, er reagiert nicht. Keine Melodie, ein Sondieren mit Tönen, die von den Wänden zurückgeworfen werden. Ein Triller, heiser, wird Dauerton.

Er hat aufgehört. Betet er etwa?

Ein zerknickter Flyer. Wieder: „Liebt eure Feinde, tut denen Gutes, die euch hassen! Kammermusik gegen Kriegsposaunen“. Schon zwei Jahre her. Ein Kommentar, handgeschrieben: BRINGT DOCH NICHTS! TRÄUMT WEITER! In dünnem Violett daneben: „Ich mach weiter. Wohin denn sonst …wohin?“

Vom Mann mit der Querflöte? Spielt er hier seitdem allein?

Ich nehme mich selbst ins Gebet: Gewissenserforschung. „Wohin?“

Waren in den 70ern und 80ern Jahren friedlichere Zeiten? Gleichgewicht des Schreckens. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Also hielten sie still.

Das darfst du als Kriegsdienstverweigerer nicht mal denken!

Aber wohin? Das war damals keine Frage für mich. Und heute? Krieg? Dann ich steige ich in den Zug. Ab nach Paris.

Damit ist nichts geregelt, denk an die Fluchten von früher: Internierung, Marsch über die Pyrenäen, Lissabon, vorbei am Torre de Belem, nur noch ein Stück Mensch unter Tausenden auf einem Schiff.

Wo wäre ich in Sicherheit?

Reicht dir Sicherheit? Deine Werte mit im Gepäck?

Noch weiter weg? Namibia vielleicht?

Du als Kriegsflüchtling in Afrika? Alle Freiheiten zum Teufel.

Ich bleibe in Deutschland, auch im Krieg! Dagegenhalten, Stärke zeigen, kämpfen, auch mit Waffen, wenn es sein muss.

Hast du vergessen – vor 50 Jahren – deine Kriegsdienstverweigerung, KDV? Du wolltest nicht nach Vaters Sprüchen geraten: „Junge, ich hatte Angst, dass ich erst Soldat werde, wenn Deutschland ohne mich schon die ganze Welt erobert hat.“

Die Bergpredigt gefiel dir. Und das Rudelwohlgefühl inmitten der Friedensdemos. „Was wollen wir trinken, sieben Tage lang …“ „Frieden schaffen, ohne Waffen!“

Wie hält der Flötenspieler die Kälte so lange aus? Es ist still. Rede ich hier laut mit mir? Hört er mir etwa zu?

Die KDV-Gewissensprüfung: „Stellen Sie sich vor, Sie sind Übungsleiter einer Schülergruppe und plötzlich stürmt ein Verrückter mit einem Flammenwerfer herein und bedroht die Kinder. Was machen Sie?“

Die Hundert-Milliarden-Frage. Deine Antwort: „Stellen Sie sich vor, es ist Krieg und keiner geht hin.“ – die reichte nicht.

Obwohl. Es ist etwas anderes, wenn ein Land ein anderes überfällt, als wenn ein Verrückter mit dem Flammenwerfer ... Wenn ich selbst verrückt gewesen wäre, geisteskrank – einen verrückten Verweigerer konnte man durchgehen lassen.

Den Drückeberger hattest du amtlich. Die haben den Druck ein bisschen forciert, schon bist du in die Kaserne marschiert „Zwo, drei, vier: Ein Lied!“ Die danach erreichte Anerkennung als Verweigerer: Für die Galerie. Du als mit dem Sturmgewehr vertrauter Friedensengel. Deine Texte? Makulatur. Bleib und kämpfe einmal richtig! Für die Freiheit!

Klingt pathetisch.

Kämpfen, aber anders. Den zivilen Ungehorsam üben, auch Gegengewalt darf ich nicht mehr ausschließen. Meine Kriegsdienstverweigerung nehme ich zurück, ich melde mich freiwillig, kämpfe als Partisan gegen mögliche Besatzer.

Das ist auch Krieg.

Ja, aber defensiv. Wegducken, in den Untergrund gehen, Widerstand leisten. Wenn mit mir viele zu unserem Land, zur Demokratie stehen, muss das doch für andere Staaten abschreckend wirken. Oder? Nicht die andere Wange hinhalten, aber auch niemandem ein Auge ausschlagen.

Bist du nicht zu alt?

Warum junge Menschen opfern? Wir Babyboomer sollten uns auf einen Guerillakrieg vorbereiten.

Das erste Baby-Boomer-Bataillon „Silver Fighter“?

Als Dank für die lange friedliche Zeit. Ich konnte mich selbstständig verwirklichen, gegen den Strich meine Kunst ausprobieren. Ich nenne es Freiheit, die wir verteidigen, auch als Partisanen.

Naivling, du träumst, du als Partisan mit der Gitarre am Lagerfeuer: „Bella ciao, bella ciao …“ Im Dreck kämpfen, allein verrecken, mit anderen Flötentönen als hier in der Kirche. Dich vor einen Panzer auf die Straße setzen, mit einem Himmelfahrtskommando in den sicheren Tod. Das ist die Realität. Willst du das?

Wir organisieren autarke Untergrundzellen.

Du spinnst, steigerst dich da rein. Hast du deinen Böll vergessen? Wie er in „Als der Krieg ausbrach“ von der „Hölle der Kasernenhöfe“ spricht?

Mit der Gewalt und Gegengewalt ist er auch nicht fertig geworden. Keine Denkverbote. Den Staat, uns, resilienter machen, darauf kommt es an! Auch nach innen, falls eine Diktatur kommt, wie 1933. Drücken gilt nicht mehr.

Was willst du? Abschreckung durch Aufrüstung oder durch gewaltlosen Widerstand mit Guerillaoption?

Vielleicht doch Namibia? Dokus über Gandhi muss ich mir auch ansehen.

Jetzt spielt er wieder. Klingt wie eine indische Bansuri-Flöte.

Das mag ich. Doch lieber nach Indien? Nein, da knallt es auch wieder. Ich lasse einfach alles auf mich zukommen und schaue mir beim Rausgehen unauffällig den Flötenspieler an. Mein Kopfnicken. Ob er es diesmal merkt, dass ich ihn grüße?

Soll ich ihn ansprechen, ob er auch mitmacht, seine Querflöte eintauscht gegen …? Ja, wogegen? Oder ob er als Flötenspieler unserem Bataillon vorangeht. Dann wäre ich nicht mehr allein.  

Es muss doch etwas anderes geben als Zahn um Zahn und Hinhalten der Wange. Irgendetwas dazwischen.

Aber ohne Schmerzen kommst du nicht davon.

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II. Flötentöne Herbert Karl von Beesten – 2025

Verlassenschaften. Ich streune im kalten Nieselregen durch Wiener Straßen und über Plätze. Finde an den Wänden, Türen und in den Schaufenstern Wörter und Austriazismen, die mir mitunter seltsam erscheinen: Romantausch. Bei Zuwiderhandeln – Besitzstörungsklage! Sorgen sind keine guten Beifahrer. Wir brauchen Rebellen der Hoffnung. Realitätenvermittlung. Ein Selbstgespräch, denn mit den Menschen komme ich nicht in Kontakt. An einer robusten, aber offenstehenden Kirchentür ein weißes, leicht lädiertes Pappschild mit verblasster schwarzer Schrift: „Liebt eure Feinde, tut denen Gutes, die euch hassen!“ Darunter eine eiserne, runde Verzierung: Ein feistes, grinsendes Koboldgesicht. Trau dich!

Ich trete ein, schiebe den roten, am Boden schmutzig-nassen Vorhang zur Seite, der hat etwas von Theater oder Varieté, und stehe im Kirchenraum. Hut ab, fällt mir noch rechtzeitig ein, obwohl ich allein im Kirchenschiff bin, umgeben vom opulenten katholischen Barock. Eine kurze Pause für mich, ein Innehalten. Ich schleiche zwischen die vorderen Kirchenbänke, finde meinen Platz. Als meine Bewegungen verhallt sind, höre ich, wie von einem anderen Stern, weit weg die Großstadtgeräusche. Die überladene Fülle macht mich klein und erleichtert es gleichzeitig, meinem Innen-Echo zu lauschen. Seltsam, ich habe schon ewig nicht mehr zur Kontemplation eine Kirche aufgesucht, aber jetzt kommt es mir vor, als wäre ich die 700 Kilometer nach Wien nur gefahren, um genau hier, in dieser Bank, anzukommen.

In die Ruhe hinein piekt ein heller, kurzer Ton. Eine der kleinen Orgelpfeifen? Ist jemand auf der Empore? Nein. Ein älterer Mann spielt hinten in der letzten Bank, etwas versteckt in einer Ecke, Querflöte. Im Umdrehen nicke ich ihm zu, aber er reagiert nicht, spielt weiter. Es ist keine Melodie, eher ein Sondieren mit Tönen, dann schrill wie ein pulsierender Alarm, der von den Wänden zurückschlägt. Er tastet wie ein Echolot die Grenzen des Raumes ab. Soll das eine Sirene sein? Jetzt ein trauriger Triller, der langsamer und leise wird, in einen Dauerton übergeht, der genau an meinem Sitzplatz als Ton und Echo in Resonanz ist und im Raum zu stehen scheint. Der Ton bricht ab, der Flötenspielet bleibt still auf seinem Platz. Betet er?

Ich blättere in einem der abgenutzten Gebetbücher, die vor mir in der Bank liegen. Darin ein zerknickter Flyer, im Titel der Satz, den ich auf der Kirchentür gelesen habe. Die Ankündigung einer Veranstaltung mit dem Untertitel: „Kammermusik gegen Kriegsposaunen“. Klingt bemüht. Das Konzert muss, dem Datum nach, schon vor zwei Jahren stattgefunden haben. An einer freien Stelle hat jemand in harten Großbuchstaben geschrieben: „BRINGT DOCH NICHTS, TRÄUMT WEITER!“ Daneben mit dünnem Strich: „Ich mach weiter, auch ohne die anderen. Was und wohin denn sonst …?“ Ob das der Mann mit der Querflöte geschrieben hat? Spielt er seitdem hier Tag für Tag allein weiter? In diesem kalten Gemäuer? Die Flöte setzt wieder ein. Soll ich jetzt beten?

Lieber nehme ich mich selbst ins Gebet. Gewissenserforschung, innerer Dialog, wie ich das als Kind im Beichtunterricht gelernt habe, wenn Beten nicht mehr half. Ich kann nicht davor wegrennen, die Frage holt mich immer wieder ein, selbst hier: Wohin im Falle eines Falles? Die dünnen Striche haben doch recht. Wo finde ich Frieden und Sicherheit?

Damals – für dich friedliche Zeiten, obwohl alle bis an die Zähne bewaffnet waren. Alle wussten, es gilt Auge um Auge, Zahn um Zahn. Also hielten alle still.

Willst du doch wieder auf das Gleichgewicht des Schreckens setzen? Mehr Aufrüstung? Das darfst du nicht laut sagen, als Kriegsdienstverweigerer nicht mal denken!

Über das Wohin habe ich damals nicht nachgedacht. Wenn heute der Krieg ausbricht, steige ich einfach in den Zug, und ab nach Paris.

Meinst du, das reicht? Mit Paris ist nichts geregelt, das mussten früher schon andere erfahren: Internierung, Flucht über die Pyrenäen bis Lissabon, mit zigtausend anderen Emigranten.

Wo wäre ich denn sonst sicher?

Reicht dir nur sicher? Was ist mit deiner Freiheit, deinen Werten? Nimmst du die mit?

Nichts lieber als das. Mich mit meinen Werten brüsten, weit weg vom Wettrüsten, weg aus der möglichen Kriegszone. Namibia, sagte mir neulich mal jemand. Da soll es eine deutsche Community geben.

Du als europäischer Kriegsflüchtling in Afrika, im schmalen Gepäck deine Freiheiten? Ob du die da auspacken kannst? Und wenn Millionen die gleiche Idee haben?

Stimmt, ich bleibe in Deutschland, auch wenn es Krieg geben kann! Ich helfe mit, dagegenzuhalten, Stärke zu zeigen, zu kämpfen, auch mit Waffen, wenn es sein muss.

Hast du vergessen, wofür du damals gekämpft hast, auch wenn es 50 Jahren her ist, deine Kriegsdienstverweigerung? KDV war die gängige Abkürzung, die jeder kannte. Du wolltest als 20-Jähriger nicht wie dein Vater werden, der als junger Mann befürchtete, dass er erst Soldat werden könnte, wenn schon alle Siege eingefahren wären. Was galt die Bergpredigt in jenen Jahren? Später hast du dich auf Demos gegen Aufrüstung und den NATO-Doppelbeschluss inmitten der fünfhunderttausend im Bonner Hofgarten rudelwohl gefühlt. „Was wollen wir trinken, sieben Tage lang …“. Die Friedenslieder-LP von den Bots hast du dir gleich gekauft. Deine Überzeugung: Frieden schaffen, ohne Waffen! Schwerter zu Pflugscharen.

Die Kälte zieht hoch in meine Glieder. Wie hält der Flötenspieler das nur aus? Jetzt macht er wieder eine Pause. Oder habe ich gerade laut mit mir geredet, und er hört zu?

Hat man dir damals in der KDV-Gewissensprüfung zugehört? Nicht mal die billige Inszenierung konntest du ad absurdum führen: „Stellen Sie sich vor, Sie sind Übungsleiter einer Schülergruppe in einer Turnhalle und plötzlich stürmt ein Verrückter mit einem Flammenwerfer herein und bedroht die Kinder. Was machen Sie?“, das war damals die Hundert-Milliardenfrage der Kommission. Es war dir nicht möglich mit: „Stell dir vor … stellen Sie sich vor, es ist Krieg und keiner geht hin.“ - dich gewaltfrei herauszumanövrieren.

Obwohl ich denen klipp und klar erklärt habe, dass das etwas anderes ist, wenn ein Land ein anderes überfällt, als wenn ein Verrückter mit dem Flammenwerfer ... Ich hätte selbst verrückt sein müssen – aus Sicht der Kommission: Ein Geisteskranker – dann wäre meine Verweigerungshaltung akzeptiert worden.

Den altgedienten Kommissköppen konntest du das nicht logisch erklären, du tapptest in die Falle. Den Drückeberger hattest du amtlich. Die haben den Druck ein bisschen forciert und schon bist du in die Kaserne marschiert „… zwo, drei, vier, ein Lied!“ das Panzerlied kannst du noch immer singen. Oder? Danach deine gelungene Verweigerung. Nur für die Galerie und gegen lästige Wehrübungen? … du warst ein Friedensengel, der mit dem Sturmgewehr G3 umgehen konnte. Deine Texte sind heute doch Makulatur. Bleib und kämpfe richtig! Für unsere Freiheit! Ja, und wenn es pathetisch klingt.

Ich muss kämpfen. Gegen einen möglichen Angriff schon jetzt den zivilen Ungehorsam üben, auch Gegengewalt darf ich nicht mehr ausschließen. Ich nehme meine Kriegsdienstverweigerung zurück und melde mich freiwillig. Ich muss lernen, wie ich als Partisan oder als Guerillakämpfer mit anderen gegen mögliche Besatzer kämpfe.

Du würdest dich also doch auf einen Krieg einlassen?

Ja, aber … der wäre defensiv, von unserer Seite, ich müsste mich erstmal wegducken, in den Untergrund gehen, um dann Widerstand zu leisten. Wenn mit mir viele auf diese Weise zu unserem Land, zu unserer Demokratie stehen, dann muss das doch auch abschreckend auf Angreifende wirken, weil wir nicht die andere Wange hinhalten, aber auch niemandem ein Auge ausschlagen. Man muss den Widerstand gründlich planen. „Gründlich“, das können wir Deutsche. Lieber heute als morgen damit anfangen, solche Einheiten aufzustellen, sich zu wappnen. Ich wäre dabei.

Bist du wirklich so mutig, fit genug und nicht zu alt?

Warum sollen junge Menschen, auch meine Kinder und Enkelkinder, geopfert werden? Wir Babyboomer sind gefordert und sollten uns auf einen Guerillakrieg vorbereiten.

Das letzte Aufgebot: Das erste Boomer-Bataillon Silver-Ager?

Man könnte es auch Dankbarkeit nennen, für die lange friedliche Zeit. Dank dafür, dass ich mich selbstständig im Job verwirklichen, mich in Sachen Kunst und Kultur auch gegen den Strich ausprobieren konnte. Man kann es auch Freiheit nennen, die wir verteidigen. Wenn es sein muss, auch als Partisan.

Naivling, du träumst, siehst dich schon als Partisan mit der Gitarre am Lagerfeuer, mit „Bella ciao, bella ciao …“ auf den Lippen, oder „Disko, Disko Partisani …“, als Held, der mit der Waffe tanzt. Du verkennst die Realität. Du wirst im Dreck kämpfen, wirst allein verrecken, ohne Musik. Da werden dir andere Flötentöne beigebracht als hier in der Kirche. Frei wärst du, allerdings vogelfrei! Dich vor einen anrollenden Panzer auf die Straße setzen oder dich an einem Himmelfahrtskommando beteiligen, das den sicheren Tod bedeutet? Willst du das wirklich?

Wir Partisanen bilden autarke Untergrundzellen mit operativen Zielen, sparen an offensiver Rüstung und keiner kann behaupten, wir wären eine Bedrohung. Das ist die Lösung!

Du spinnst, steigerst dich da rein, verrennst dich. Du in einer Untergrundarmee, überhaupt in einer Armee? Du hast deinen Lieblingssatz vergessen aus Bölls „Als der Krieg ausbrach“: „… und nichts hat meiner Vorstellung von Hölle so entsprochen, wie heiße, stille, leere Kasernenhöfe.“ Aber mit dem Problem von Gewalt und Gegengewalt ist er schreibend auch nicht fertig geworden.

Ich darf mir keine Denkverbote auferlegen! Denkvorboten brauchen wir. Vielleicht können wir durch unsere Widerstandsgruppen als Staat resilienter werden, auch nach innen, falls eine Diktatur kommt, wie 1933. Drücken gilt für mich dann auch nicht.

Was willst du? Abschreckung durch Aufrüstung oder durch gewaltlosen Widerstand mit Guerillaoption?

Vielleicht gehe ich doch nach Namibia? Waren da nicht Bürgerkrieg oder Grenzstreitigkeiten mit dem Nachbarland? Ich muss mich reinlesen. Und wie ging das noch mal mit dem gewaltfreien passiven Widerstand?

Du musst dir unbedingt die Dokus über Gandhi ansehen.

Jetzt spielt er wieder. Hört sich fast an wie eine indische Bansuri-Flöte, weicher und geschmeidiger Ton mit einem meditativen Touch. Das mag ich.

Du solltest auch über Indien als Fluchtpunkt nachdenken.

Ach, ich lasse einfach alles auf mich zukommen, ich schaue mir noch den Nebenaltar des Heiligen Joseph hinten am Eingangsportal an, dann kann ich auch den Flötenspieler genauer ansehen. Unauffällig selbstverständlich.

Vielleicht solltest du vorher noch … Nein, Beten hilft jetzt nicht.

Beim Hinausgehen versuche ich ein Lächeln mit einem Kopfnicken in seine Richtung. Ob er es diesmal bemerkt hat?

Wieder draußen im Nieselregen überlege ich, ob ich umkehre und ihn anspreche, ob er auch mitmacht, seine Querflöte eintauscht gegen ….  Nein, besser noch, ob er als Musiker unserem Bataillon vorangehen würde. Keine Marschmusik, lieber meditativ-rhythmisch. Dann wären wir schon zu zweit. Es muss doch etwas anderes geben als Zahn um Zahn und Hinhalten der Wange.


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